Nachdem wir letzten Monat mit Michael von MovEvo4kids ganz allgemein über das Projekt geplaudert haben, wollen wir diesen Monat wissen: Wie finden es denn die Kinder und die Lehrer, wie funktioniert die Umsetzung in der Praxis
Michael und Marion, wie seid ihr gerade auf Volksschulen gekommen?
Michael & Marion: Unsere ersten Gespräche fanden mit Volksschullehrer*innen im Bekanntenkreis statt. Dort herrscht die Problematik, dass die Pädagog*innen für nahezu alle Fächer verantwortlich sind. Wenn Lehrer*innen nicht selbst bewegungsbegeistert sind, geht Bewegung oft unter. Noch dazu fehlt oft die Zeit zur Unterrichtsvorbereitung, eine Volksschullehrer*in muss ja jeden Tag penibel durchplanen, sonst herrscht Chaos in der Klasse. Wir möchten den Pädagog*innen ein Werkzeug in die Hand geben, um sportwissenschaftlich und pädagogisch fundiert das Konzept des bewegten Unterrichts umzusetzen.
Sind diese Unterbrechungen des Unterrichts sinnvoll? Oder ist es schwierig, nachher wieder Ruhe rein zu bringen?
Michael & Marion: Aus zahlreichen Studien der Hirnforschung wissen wir, dass Kinder in Bewegung und nach Bewegung bessere Lernerfolge erzielen, aufmerksamer sind und, dass auch das Gehirn eine Vielzahl von Bewegungsreizen zur Entwicklung benötigt. Motorische Entwicklung und kognitive Entwicklung gehen Hand in Hand. Damit profitieren alle Beteiligten. Die Kinder erzielen bessere Lernerfolge, die Atmosphäre in der Klasse ist besser, bewegte Kinder schlafen am Abend besser ein, da haben auch die Eltern was davon.
Habt ihr auch mit Kindergärten gesprochen?
Michael & Marion: Uns ist bewusst, dass movevo4kids durchaus auch für Kindergärten interessant ist, aber irgendwo müssen wir starten. Was wir wissen ist, dass mit dem Eintritt in die Schule das Bewegungsausmaß rapide abnimmt, daher haben wir uns im ersten Schritt für die Volksschule entschieden.
Braucht es für die Übungen auch Disziplin? Oder geht alles spielerisch und leichtfüßig?
Michael: Das eine schließt das andere nicht aus. Wir müssen nur den entsprechenden Rahmen schaffen. Wie passt das zusammen? Es ist in uns angelegt. Kleinkinder machen tausende Versuche um ein erstes Mal aufzustehen. Fallen immer wieder hin, bis es plötzlich gelingt und in Kürze selbstverständlich ist. Wir alle tragen diese unbändige Neugier in uns, wir müssen nur die Reize bieten und einen Rahmen vorgeben. Bei unseren Challenges achten wir genau darauf. Es gibt viele Aufgabenstellungen die Kinder finden den Lösungsweg selbst.
Kannst du uns dazu ein Beispiel geben?
Michael: Klar! Eine der beliebtesten Übungen ist der „schwebenden Eiszapfen“: Hier geben wir den Start und das Ziel vor. Aufgabe ist es einen Stift zwischen den Fingern über Stühle und unter Tischen hindurch zu transportieren. Der Lösungsweg bleibt offen, und die Kinder finden selbst ihre Variante. Anleitung wie “Hebe zunächst das rechte Bein und greife mit er linken Hand auf dein rechtes Knie” erinnern eher an Krankengymnastik. So funktioniert Bewegungslernen bei Kindern nicht. Einerseits lernen Kinder durch Nachahmung, andererseits soll Freiraum für Kreativität der Kinder bleiben. (Videolink: https://vimeo.com/513895939)
Man hört ja viel über die Grundkompetenzen. Beim Sport geht es eher um die lokomotorischen Fähigkeiten. Gibt es hier einen Zusammenhang?
Michael: Die motorischen Grundfertigkeiten Laufen, Springen, Werfen, Fangen, Balancieren, kommen immer wieder vor. Wenn aber eine Fähigkeit in der Grobform entwickelt ist, ist diese vielseitig anwendbar. Unser Gehirn passt sich ständig an, neue Verbindungen werden geschaffen und mit Übung verstärkt. Motorisches Lernen bildet somit auch die Grundlage für kognitives Lernen. Je mehr Reize wir Kindern bieten und je vielfältiger diese Reize sind, desto anpassungsfähiger wird das Gehirn und desto leichter können sie das gespeicherte Wissen auch in neuen Situationen abrufen.
Kannst du mir dazu ein Beispiel nennen?
Michael: Kinder, die schon früh mit dem Laufrad in Kontakt kommen setzen sich dann aufs Fahrrad und fahren los, Stützräder braucht es dann gar nie. Sie sind in der Lage das erworbene Gleichgewicht sofort auf die neue Situation zu übertragen.
Ihr habt anklingen lassen, dass es euch dabei auch noch um was anderes geht?
Michael & Marion: Neben allen Bewegungskompetenzen möchten wir den verbindenden und sozialen Aspekt von Bewegung betonen. All unsere gesellschaftlichen Werte wie Kooperation, Toleranz, Kontaktfähigkeit und Einfühlungsvermögen werden im Zuge des gemeinsamen Bewegens entwickelt.
Jetzt mal zur Praxis: Wie würdet ihr die Videos in den Schulalltag einbauen?
Michael & Marion: Wir wissen heute aus den Neurowissenschaften, dass das Gehirn Pausen benötigt und das wir mit Bewegung und der damit verbundenen Durchblutungssteigerung auch den Geist erfrischen. Gerade in den Volksschulen haben die Lehrer*innen natürlich eine sehr enge Beziehung zu den Schüler*innen und wissen am besten über deren Gemütszustand Bescheid. Wir möchten keinesfalls mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen und belehren, wie der ideale Unterricht aussehen soll.
Empfehlt ihr bestimmte Uhrzeiten oder nach bestimmten Stunden oder würdet ihr das eher dem Gefühl der Lehrer überlassen?
Michael & Marion: Mit movevo4kids möchten wir bereichern und inspirieren und keine zusätzliche “Last” für die Lehrer*innen sein. Die Lehrer*innen sind die Experten in ihrer Klasse und wissen am besten Bescheid. Die App kann je nach Stimmungslage in der Klasse eingesetzt werden. Einige Übungen aktivieren müde Kinder, andere bringen überdrehte Kinder zur Ruhe und sorgen für eine verbesserte Konzentration. Auch der Fortschritt und das Tempo während des Schuljahres liegt bei den Lehrer*innen. Doch ich bin mir sicher, dass die Kinder Movevo und Moveva einfordern werden ;-). Bei der Konzeption haben wir eng mit unseren Pädagogik-Expert*innen zusammengearbeitet und bewusst darauf geachtet, dass movevo4kids eine Bereicherung und keine zusätzliche Last bedeutet.
Welche zusätzlichen Hilfsmittel braucht man?
Michael & Marion: Nahezu alle Challenges können auch in der Klasse und ohne ausgefallenes Material gemacht werden. Was es für die App braucht ist, dass Lehrer*innen ein Smartphone oder Tablet und einen Beamer zur Verfügung haben, um die Videos mit den Kindern zu teilen.
Wieviel Zuspruch bekommt ihr? Welches Video hatte bisher den größten Erfolg bei den Kindern?
Michael & Marion: Im Winter war die Eiszapfen-Challenge ein richtiger Renner. Die Kinder sind begeistert und fordern mehr. In unseren Pilotschulen machen die Kinder unsere Challenges auch schon selbstständig in den Pausen. Diese Rückmeldungen sind natürlich die schönste Motivation für uns.
Und wie reagieren Erwachsenen auf eure Initiative?
Michael & Marion: Unsere Videos sind auch bei den Erwachsenen ein Renner. Selbst Senioren haben die Übungen schon versucht! Bei vielen ist Freude und Spaß an Bewegung irgendwo auf dem Weg zum Erwachsen werden verloren gegangen. Auch hier möchten wir ein Umdenken anstoßen und das Bewegungsfeuer wieder entzünden.
Wie ist das Feedback seitens der Lehrer? Habt ihr auch Reaktionen von Eltern bekommen?
Im Mai haben wir eine Info-Session für alle Kärntner Volksschuldirektor*innen veranstaltet. Es waren 30 Lehrer*innen und Pädagog*innen mit dabei. Dabei gab es einen Wettbewerb: Kärntner Schulen konnten sich bis 11.6. mit einem Motivations-Statement oder einem kurzen Video bewerben. Jetzt werden fünf Schulen ausgewählt, die im Herbst 2021/22 mit einem movev4kids Package starten: Diese fünf Schulen bekommen ein App Lizenz, eine Fortbildung für die Lehrer*innen und einen Beamer für die Klasse.
Übrigens: Aktuell sind Michael und Marion noch auf der Suche nach einem Namen und einem Design für ihren Bösewicht, der die Bewegungsskills der Kinder klaut. Dabei freuen sie sich auf euren Ideen! Also: Werdet kreativ und schickt eure schrecklichsten Schurken!
Und wer Movevo tatkräftig unterstützen möchte, kann das beim Crowdfunding tun: www.startnext.com/movevo4kids