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Was in dem Kastl drinnen ist, ist wichtig

Interview mit der Psychologin und ehemaligen Weltklasseschwimmerin Judith Draxler-Hutter über die wohltuende Wirkung von Sport und ihre physiologischen wie psychologischen Grundlagen, und warum die motion4kids-Idee mit der Einbindung des ohnehin allgegenwärtigen Handys eine gute ist.

Interview: Fritz Hutter, Foto: Christian Hofer 

Als Schwimmerin zählte Judith Draxler-Hutter lange Zeit zur Weltklasse. Heute betreut sie als Psychologin unter anderem das Who is Who des rot-weiß-roten Nachwuchssports. Mit ihrem Mann, dem Journalisten und erfahrenen Trainer Fritz Hutter, spricht sie über die Wirkung von Sport und Bewegung auf unsere Kids und die gemeinsame Tochter. Und sie sagt, warum man das Handy nicht verteufeln muss.

Der positive Effekt von Bewegung und Sport auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns ist mittlerweile unumstritten. Was sind die Eckpfeiler der so wohltuenden Wirkung eines aktiven Bewegungsapparats auf den Denkapparat? 

Grob gesagt verbessern sie die Plastizität des Gehirns, sprich dessen Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichste Anforderungen. Die beim Bewegen und Sporteln ans Hirn gesandten Reize regen die die Vermehrung der Synapsen, also der Verbindungen zwischen den Hirnzellen an. Das Netzwerk wird so deutlich schneller verdichtet als ohne Bewegung und ermöglicht so schnelleres und damit leichteres Lernen. Unterstützt wird dieser Effekt von der angekurbelten Durchblutung, welche wiederum das Wachstum und damit die Leistungsfähigkeit des Hippocampus, unsere Zentrale fürs Abspeichern, stärkt. Ein Effekt, der übrigens in jedem Alter positiv wirkt. Später im Leben beispielsweise durch verbesserte Gedächtnisleistungen. 

Spielt die Form der Bewegung für diesen Effekt eine große Rolle?

Grundsätzlich liefert jede Art der körperlichen Aktivität die erwähnten Reize. Die Vorteile von Abwechslung im Programm bzw. immer neuen, vielleicht aufeinander aufbauenden Herausforderungen liegen bei den Erfolgserlebnissen, die unter anderem auch in der Ausschüttung von Glückshormonen resultiert. Und auch diese lassen gerade Kinder leichter lernen. 

Nicht selten hört oder liest man die Formulierung „beim Sport kriege ich den Kopf frei“. Was bedeutet das eigentlich physiologisch?

Dass der Frontallappen des Gehirns, unser „Arbeitszentrum“ für planvolles Handeln beim Sport eine Erholungspause bekommt, weil andere Areale stärker beansprucht werden. Dieses Timeout führt danach zu erhöhter Konzentrationsfähigkeit und angeregter Kreativität. Beides begünstigt sowohl die Lernfähigkeit wie auch die Lösungskompetenz. Und genau deshalb wären im Kindergarten, in der Schule aber auch später am Arbeitsplatz regelmäßige Bewegungseinheiten zwischendurch so wichtig. Übrigens lässt sich gerade bei Kindern durch Bewegung die Stimmung signifikant heben - eben über die erwähnte Entspannung des Frontallappens.  

Und welche psychologischen Effekte beobachtest du bei Kindern und Jugendlichen?

Zuerst sei gesagt, dass speziell bei den Kids der Bewegungsdrang einfach da ist. Ausleben müssen sie diesen halt dürfen. Wenn das gewährleistet ist, dass liefern neue Körpererfahrungen unmittelbare, meist positive Erlebnisse, welche die Stimmung heben und das Selbstvertrauen stärken. Das kann der erste Minipokal beim Kindertennisturnier, ein Tor beim Kickerl auf der Wiese, ein gelungener Kopfsprung im Bad oder auch einfach ein erfolgreich erkletterter Baum sein. 

Aber es passieren ja auch Misserfolge …

Absolut, aber auch die haben in den meisten Fällen ihr Gutes. Aus früheren Erfolgen und deren angenehmen Effekten hat man gelernt, dass es sich auszahlt, die Flinte nicht ins Korn zu werfen, sondern es weiter zu versuchen, bis der Kopfstand, der Sprung übers Bacherl hinterm Haus oder der Skateboard-Trick irgendwann gelingt. Dann ist die Freude meist umso größer. In der Psychologie nennt man das Belohnungsaufschub. Übrigens ein Parallele zum Lernen. Wer bei Sport und Spiel auf ein Ziel hinarbeiten kann, der verfügt grundsätzlich auch über die Fähigkeit, dies auch in der Schule zu tun. 

Unsere Tochter Johanna ist jetzt 12. Seit ihrer frühestens Kindheit ist sie permanent in Bewegung und heute eine begeisterte und vielseitige Sportlerin. Dazu eine ausgezeichnete Schülerin. Was denkst du, hat das eine fürs andere gebracht?

Nun, wie das Babyschwimmen, die vielen Stunden am Spielplatz, das frühe Eislaufen und Radfahren oder auch das Singen und Tanzen gewirkt haben, hat sie uns ja schon mit vier ganz entschieden mitgeteilt. Der Satz, ich bin heute so angespannt, ich muss raus und mich bewegen, wird uns für immer im Gedächtnis bleiben. Sie ist die Dinge sehr früh mit Neugier, Selbstbewusstsein und einem ausgeprägten Sensus für die Qualitäten von Lehrern und Trainern angegangen. Aus Erfolgserlebnissen und der Freude über Erreichtes ist auch bei unserer Johanna die Lust und der Wille zu lernen und sich immer weiter zu verbessern entstanden. Beim Sport aber eben auch in der Schule. Sie hat verstanden, dass von nix nix kommt und dass es sich für sie auszahlt, auf selbst gesteckte Ziele hinzuarbeiten.

Du selbst warst über viele Jahre eine Weltklasseschwimmerin, hast mit deinen drei Geschwistern aber schon lange vor der Sportkarriere eine wahrhaft bewegte Kindheit verbracht. Was hat das alles mit dir gemacht?

Als Kinder haben wir praktisch nichts ohne Bewegung gemacht. Sei es, dass wir die Sandkiste im Garten zur Weitsprunggrube umfunktioniert oder uns aus Ästen, Steinen und gern auch Gartenmöbeln Hindernisparcours gebaut haben. Daraus, wie auch aus den späteren Erfolgen habe auch ich das erwähnte Selbstbewusstsein und eine hohe Selbstbestimmtheit in meinen Handlungen gezogen. 

Und what else?

Der wichtigste Benefit ist eindeutig, dass ich durch den Sport das ultimative Backup gegen Stress zur Hand habe. Es macht mich nach wie vor sehr zufrieden, wenn ich beim Laufen im Park ums Eck’ oder beim Schwimmen in irgendeinem Bad selbstgesteckte Ziele - heute sind es halt keine Olympialimits mehr - erreichen kann. Und sogar, wenn ich weiß, dass sich die nächste Einheit erst in zwei, drei Tagen ausgehen wird, ist es wie bei dir, wenn du dir für nächste Wochenende eine Tennis- oder Radpartie ausmachst - ich freue mich schon unheimlich darauf, dass ich mich in absehbarer Zeit Kurzurlaub auf einer „Insel“ machen kann. 

Als wir beide unsere ersten Gehversuche im Leben und bald darauf im Sport unternommen haben, war von Digitalisierung noch lange keine Rede. Heute stellen die neuen Medien oder aber auch Computerspiele - beides auch von den Kids meist am Handy konsumiert - massive Ablenkungen dar. Wie beurteilst du die Vision von motion4kids, ausgerechnet das Mobiltelefon zum Instrument für mehr  Bewegung gerade für Kinder zu machen?

Das Handy ist bei Kindern aber auch bei uns Erwachsenen zum Teil der Identität geworden. Als Verbindung zu Gleichaltrigen aber auch zu einer gemeinsamen Infowelt ist es für die Kids, die buchstäblich damit aufwachsen, nicht mehr wegzudenken. Was in dem Kastl drinnen ist, ist wichtig. Punkt. Wenn man es also schafft, das Tor zu regelmäßigen Bewegung übers Handy zu öffnen, dann wird sie ebenfalls wichtig. Idealerweise passiert das altersgerecht. Anfangs mit eher spielerisch angelegten Funktionen, später vielleicht mit Apps, die den Jugendlichen unter anderem helfen, selbstgesetzte Trainingsziele zu erreichen bzw. Fortschritte zu überprüfen. Für mich wäre es der Idealfall, wenn das Handy als Instrument den Kindern dabei hilft, ein spannendes Leben zu führen - mit und ohne Mobiltelefon. 


Zur den Personen:
Mag. Judith Draxler-Hutter war von Ende der 1980er Jahre bis lange nach ihrem sportlichen Rücktritt bei der Schwimm-EM 2004 in Wien Österreichs schnellste Frau im Wasser. Unter anderem erreichte sie als Kraul- und Delfinsprinterin 68 Einzelstaatsmeistertitel, zahlreiche Finalplatzierungen bei Welt- und Europameisterschaften. 
Als Sportpsychologin sowie als Klinische- und Gesundheitspsychologin betreut sie zahlreiche SpitzensportlerInnen, wirkt als Vortragende und ist außerdem im Businesscoaching tätig.
Infos: www.erfolgswelle.at bzw. www.oelsz.at

Fritz Hutter ist seit mehr als 25 Jahren als Journalist in den Bereichen Sport, Gesundheit, Fitness und Jugendkultur aktiv - von 2007 bis Ende 2018 etwa als Chefredakteur der Monatszeitschrift SPORTMAGAZIN. Flankierend zum Journalismus war und ist er u.a. als Tennistrainer tätig.
Infos: www.fritzhutterblog.wordpress.com

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