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Fake Friends aus der Märchenwelt - Zwischen Food Marketing und Nutri-Score

Sie hören Pandemie und denken an? Richtig – Corona. Eine andere Pandemie, die sich schleichend, ja fast unbemerkt, in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausbreitet, ist allerdings fast noch gefährlicher: Sie heißt Adipositas. Das Thema betrifft nicht nur Erwachsene, sondern in zunehmendem Ausmaß auch Kinder und Jugendliche.

Das ist insofern besonders dramatisch, als die Wahrscheinlichkeit, als Erwachsener daran zu leiden, sich mit dem frühen Start drastisch erhöht. Auch die Folgekrankheiten haben so länger Zeit, sich in vollem Ausmaß zu entfalten. Die Krankheitsbilder sind ein buntes Panoptikum aus Herz-Kreislaufkrankheiten, Diabetes, Erkrankungen des Muskel- und Skelettapparates, diversen Krebsarten. Kindern sind in Österreich zu 18% übergewichtig (BMI ≥ 25 kg/m2) oder adipös (BMI ≥ 30 kg/m2). Und der Aufwärtstrend ist ungebrochen. Eine Studie unter zur Stellung einberufenen jungen Männern zeigt zwischen 1983 und 2017 einen Anstieg des BMI – Durchschnitts von 22,7 auf 24.3 kg/m2 und der Adipositas von 1,6% auf 8,2%.[i]

Für diese Entwicklung gibt es verschiedenste Gründe, die hier auch schon öfters thematisiert wurden. Bewegungsmangel, zu wenig Zeit und Infrastruktur, schlechtes Ernährungswissen, falsche Vorbilder. Ein Grund allerdings liegt weit außerhalb des elterlichen Einflussbereichs und tarnt sich mit den hübschesten Verkleidungen: Wir sprechen heute über Food Marketing.

Kinder sind regelmäßig mit Werbung für Lebensmittel und Getränke konfrontiert, die einen
hohen Gehalt an Energie, Fett, Zucker und Salz aufweisen. Dadurch entwickeln sie bestimmte Vorlieben, Geschmackspräferenzen und Ernährungsgewohnheiten, was wiederum oft schon im Kindesalter zu Übergewicht und Adipositas führt. Natürlich gibt es staatliche Initiativen, die versuchen, diesen Entwicklungen gegenzusteuern. Die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) hat beispielsweise im Rahmen des Programmes „Richtig essen von Anfang an!“ ein „Österreichisches Nährwertprofil zur Lenkung von Lebensmittelwerbung an Kinder in Audiovisuellen Medien“ erarbeitet. Darin fordert sie ein Verbot der Bewerbung von Schokolade und Süßwaren, Müsliriegel, süßen Desserts, Kuchen, süßen Keksen und Gebäck, Eis, Knabbereien, Energy Drinks, Fetten und Ölen, Frittiertem, panierten und vorgebackenen Lebensmitteln vor, während und nach Kindersendungen.[ii]

Auch international gibt es vereinte Anstrengungen, beispielsweise des Europäischen Verbraucherverbands[iii], der 2021 81 Beschwerden beim EU-Pledge (Freiwillige Selbstverpflichtung führender Nahrungsmittel- und Getränkehersteller zur Einhaltung von Werbebeschränkungen für unter 12-Jährige) einbrachte. Nur 14 davon wurden stattgegeben. Abgewiesen wurden unter anderem TV-Werbungen, die weniger als 35 Prozent unter 12-Jährige Zuseher haben. Diese Restriktion findet allerdings fast nie Anwendung, wenn man bedenkt, dass der Anteil der unter 14-Jährigen an der EU-Bevölkerung lediglich bei 15 Prozent liegt. Ebenso abgewiesen wurde die Klage gegen ein Advergame (Werbespiel), in dem der Pombär durch das Pombärland springt und dabei Münzen sammelt, wobei die Spielfigur genau wie die Knabbereien aussieht und im Hintergrund die Verpackung zu sehen ist. Unverfänglich ist laut Beurteilung auch die Smarties-Website, da sie ausschließlich die Kreativität der Kinder fördert. In einer Fortnite-Edition sind Pringles-Dosen prominent im Spiel platziert. Auch Offline gibt es für die Kinder kein Entkommen: Auf den Verpackungen von Kinderschokolade lächeln verführerisch die Charaktere der Eisprinzessin und die Burschen werden von Spiderman in seinen Bann gezogen. Die Riesenplakatwerbung für das schnelle Essen an der Bushaltestelle neben dem Spielplatz und der Snack-Aufsteller an der Supermarkt-Kassa sind dagegen schon ein alter Hut.

Hilfreich gegen diese Praktiken wäre ein weitreichendes Werbeverbot-Kinder konsumieren nicht nur „Kinderfernsehen“ - im TV. Auf Webseiten und Social Media – auf Tiktok sind 25% der Werbungen für die angesprochenen Produktgruppen und Kinder brauchen nur ein falsches Geburtsdatum eingeben, manchmal sogar nur auf einen Button klicken, um sich Zugang zu verschaffen.  Dazu kommt, dass zwar 90% der Kinder Werbung im Fernsehen als solche erkennen, diese Zahl aber auf 40% fällt, sobald diese von Influencern dargeboten oder in Form von Advergames verkleidet wird. Und ein Verbot für diese Art von Werbung auf Verpackungen und im Supermarkt. Die freiwillige Beschränkung der Industrie reicht hier ganz offensichtlich nicht aus.

Neben diesen Werbeaktivitäten, die die Kinder innerhalb der Familie zu Mega-Influencern werden lassen, stehen gestresste Eltern im Supermarkt oft auch noch vor dem Problem, die richtigen Kaufentscheidungen zu fällen. Die Auswahl ist riesig und oft werden gerade „Kinderprodukte“ als besonders gesund angepriesen. Eine Lösung dafür wäre die Nährwertdeklaration, die seit 2016 auf den meisten vorverpackten Lebensmittel in Tabellenform auf der Verpackungsrückseite zu finden ist. Allerdings ist sie mühsam zu lesen und für viele auch nicht verständlich. Daher werden neue Methoden evaluiert: Der Nutri-Score beispielsweise, der auf der Verpackungsvorderseite mittels der Ampelfarben eine Einschätzung des Produktes erleichtert. Er vergibt Minuspunkte für Energie, Zucker, gesättigte Fettsäuren und Natrium und Pluspunkte für Proteine, Ballaststoffe, Obst, Gemüse, Nüsse etc. und hilft bei der Unterscheidung ähnlicher Lebensmittel innerhalb einer Produktgruppe. In Frankreich und Deutschland haben sich unter anderem Bofrost, Danone, Iglo, McCain und Mestemacher verpflichtet, freiwillig den Nutri-Score anzuwenden. Das Gute daran: Ein Unternehmen kann nur alle Produkte auf einmal anmelden, was öfters dazu führt, dass weniger günstige Produkte eine neue, gesündere Rezeptur bekommen. Andererseits dient er nicht dazu, Lebensmittel als „gesund" oder „ungesund" zu charakterisieren, wie es ein positiver Indikator, wie z.B. das Keyhole-System, tut. Man wird sehen, wofür sich die EU Ende 2022 entscheidet.

Was jedenfalls hilft, ist Bildung. Und dabei geht es nicht nur um allgemeines Gesundheitswissen, sondern – durch Studien belegt[iv] – verhindert ein höheres Bildungsniveau ganz generell Adipositas. Und das unterstützt motions4kids: Bildungsförderung durch Bewegungsförderung!

 


[i] Yang, L., Juan, A., & Waldhoer, T. (2021). Prevalence and trends in obesity among Austrian conscripts from 1983 to 2017. Wiener klinische Wochenschrift, 1-6.

 

[ii]https://www.sozialministerium.at/dam/jcr:2ec8d2ea-9e38-4dca-8a23-89a5a14c0b4e/Empfehlung_der_Nationalen_Ernährungskommission_Österreichisches_Nährwertprofil_zur_Lenkung_von_Lebensmittelwerbung_an_Kinder_in_Audiovisuellen_Medien_.pdf

 

[iii]https://www.beuc.eu/publications/beuc-x-2021-084_food_marketing_to_children_needs_rules_with_teeth.pdf

 

[iv] Yang, L., Juan, A., & Waldhoer, T. (2021). Prevalence and trends in obesity among Austrian conscripts from 1983 to 2017. Wiener klinische Wochenschrift, 1-6.

 

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