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Von chinesischen Tigermüttern und dem richtigen Zeitpunkt - Was Hänschen nicht lernt…

Willkommen im neuen Schuljahr! Egal ob mit den ersten zögerlichen Schritte in den Kindergarten, als strahlender Erstklässler mit Schultüte in der Hand oder - fast schon erwachsen - am Sprung in Gymnasium: alle sind freudig und motiviert, dieses Jahr gemeinsam und ohne gefühlte Bedrohung zu beginnen. Endlich sind zur großen Erleichterung vieler Eltern auch Freizeitbeschäftigungen wieder möglich. Aber was davon tun? Wir wollen ja schließlich nicht zu chinesischen Tigermüttern mutieren, andererseits aber unseren Kindern auch keine Chancen verbauen. Was also, wann und wieviel?

In einer Studie[i] beschrieben Heckman et al. den Return of Investment in Humankapital im Verhältnis zum Lebenszyklus. Diese ergab, dass dieser umso höher war, je jünger die Kinder waren. Die Opportunitätskosten, also den Zeitpunkt, an dem die Investitionskosten noch genau dem „Gewinn“ entsprechen, erreichte man bereits kurz nach dem Eintritt in die Volksschule – ab dann ging es bergab. Natürlich soll das jetzt kein Plädoyer dafür sein,  unsere Kinder nach der Volkschule ins Leben zu entlassen -  schließlich sind sie keine Wirtschaftsinvestition. Aber es soll darauf aufmerksam machen, wie wichtig Bildung von Geburt an ist. Je früher man lernt, desto besser. Je mehr man schon kann, desto schneller lernt man Neues.

Unsere Gehirnentwicklung verläuft in etwa so: Den Höhepunkt in der Entwicklung der Sehfähigkeit erleben wir als erstes, circa zwischen ein und fünf Jahren, gefolgt vom Sprechen, das circa mit 15 Jahren fertig ausgeprägt ist. Mit ungefähr acht Jahren lernen wir am meisten in den Bereichen Denken, Wollen und Handeln und dieser Prozess ist mit 20 Jahren auch schon fast fertig.  Brutal formuliert könnte man sagen: Was bis 25 nicht im Gehirn ist, kommt auch nicht mehr rein, frei nach dem Spruch unserer Großeltern „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“.

Wann aber ist der richtige Zeitpunkt und wofür? Sollen die Kids lieber Ball spielen oder Gitarre? Wie sieht es mit Chinesisch Lernen aus?

Kindheit und Jugend stehen unter dem Motto „Bildung, Bewegung und gesunde Ernährung“: Förderlich sind in diesen Lebensphasen das Erlernen einer zweiten Sprache, die Welt mit Händen zu be-greifen, Zugang zu Musik, Sport und Theater zu haben. Schädlich wirken sich hingegen TV, DVD, Video und alle „modernen“ Versionen wie Spielkonsolen aus: Sie begünstigen Sprachentwicklungs- und Aufmerksamkeitsstörungen und können zu Schulproblemen führen. In der Jugend richten Computerspiele und dauerndes Online-Sein den größten Schaden an: geringe Bildung, falsche Ernährung, Sucht, Schlafmangel und Übergewicht können die Folgen davon sein.

Zwischen zwanzig und fünfzig Jahren stehen Geborgenheit und Gemeinschaft im Vordergrund: Bindung, Familie und sinnvolle Arbeit bilden den Gegenpol zu Stress und Multitasking, die langfristig in Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg münden können.

Im hohen Alter prägen aktive Teilnahme, Geben und Helfen eine gesunde Gehirnentwicklung: Enkel, Ehrenämter, Tanzen, Singen und Lachen in Gesellschaft wirken gegen Vereinsamung, Depression, Demenz und frühzeitigen Tod.[ii] Je ausgeprägter die Gehirnentwicklung ursprünglich ist, desto weniger macht das Absterben der Gehirnzellen beim Älterwerden aus. Bildung ist der wichtigste prädiktive Faktor für Demenz. Zweisprachigkeit verzögert Demenz beispielsweise um fünf Jahre. Im gesunden Hirn gibt es 100 Milliarden Nervenzellen mit bis zu je 10.000 Kontakten zu anderen Nervenzellen. Diese Kontakte unterliegen je nach Stimulation dauernden Veränderungen. Nervenzellen sterben im Laufe des Lebens unter anderem stressbedingt ab. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Graceful Degradation“: Die meisten Hirnveränderungen wie Parkinson oder Demenz werden erst bemerkt, wenn 70% des Schadens bereits angerichtet ist.

Bewegung hingegen fördert das Nachwachsen von Nervenzellen, auch im Gehirn. Neue Nervenzellen müssen in die bestehenden eingebunden werden. Das passiert durch das Lernen neuer Inhalte, dem Anstellen neuer Überlegungen. Sudoku, Kreuzworträtsel und Gehirnjogging sind diesbezüglich nicht sehr hilfreich. Sie schaffen keine neuen Verknüpfungen, sondern rufen nur bestehende Inhalte ab. Besser ist die aktive Teilhabe im Zusammenleben mit anderen Menschen wie zum Beispiel der Enkel, da diese neue Herausforderungen bringt.

Damit haben wir die zwei wesentlichen Faktoren für die Hirngesundheit identifiziert: Bildung und Sport. Wie muss diese körperliche Aktivität zur Förderung der Hirngesundheit aussehen? Das absolute Minimum besteht in zwei bis drei Mal Woche mindestens dreißig Minuten Schwitzen! Dabei sollte die Freude an der Bewegung im Vordergrund stehen und man sich nicht bis zur körperlichen Erschöpfung auspowern. Empfehlenswert sind je nach Fitnesslevel beispielsweise Joggen, Rudern oder Radfahren. Was nicht empfehlenswert ist, ist E-Sport: Hier gibt es kein Schwitzen (abgesehen von den Handflächen) und es finden keine differenzierten Bewegungen statt, die zu einem besseren Verständnis der Dinge führen. Auch selbstbestimmtes und selbstkontrolliertes Handeln lernt man nur über das Tun. Fußball verbindet beispielsweise eine soziale Komponente (Mitspieler organisieren), eine planende Komponente (wo, wann, mit wem) und das Lernen von Regelverbindlichkeit (der präfrontale Kortex muss die Einhaltung der Spielregeln kontrollieren).

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Bildung und Sport, Sport und Bildung! Gerne unterstützt durch die Förderprojekte von motion4kids!

 

Mag. Barbara Fisa, MPH, studierte erst Handelswissenschaften bevor sie ihre Leidenschaft für Sport, gesunde Ernährung und Entspannung zu Public Health brachte. Sie versteht sich als Vermittlerin von Wissenschaft, ist Beraterin, Keynote-Speakerin und Autorin („Raus aus der Pflegefalle“ gemeinsam mit Prof. Dr. Bachl und Dr. Biach im Springer Verlag). Sie arbeitet an Systemen zur Förderung eines gesunden Lebensstils für Menschen nach der Pensionierung, dem „Best-Agers-Bonuspass“, und berät die Stiftung motion4Kids. Nähere Informationen unter thehealthychoice.at

 


[i] „Skill Formation and Economics of investing in Disadvantaged Children“, James j. Heckman et al., Science 312, 19000 (2006)

[ii] Sport & Gehirn: Was weiß die Neurowissenschaft? Vortrag Gehirnforscher Prof. Manfred Spitzer auf der Tagung „Sport bewegt und bildet", 8.12. 2017, TU Berlin

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