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Von gemüseliebenden Bakterien und fetten Paradoxa - „Der Mensch ist, was er isst“, Ludwig Feuerbach (1804–1872)

Im November letzten Jahres veröffentlichte die WHO die Ergebnisse der mittlerweile fünften COSI – Studie (Initiative zur Überwachung von Adipositas im Kindesalter): Im Zeitraum von 2018 bis 2020 wurde in 33 Länder das Ernährungs- und Bewegungsverhalten von 411.000 Volksschulkindern erhoben: Rund 30 Prozent der Kinder sind aktuell übergewichtig bzw. adipös. Jungen waren mit 31 Prozent stärker betroffen als Mädchen (28 Prozent). Auch wenn wir in Österreich noch vergleichsweise gut dastehen - rund 25 Prozent der Kinder sind übergewichtig und sieben Prozent der Mädchen bzw. elf Prozent der Buben adipös, ist das noch lange kein Grund zu feiern. Vor allem weil davon auszugehen ist, dass die COSI - Daten nicht ganz zuverlässig sind: Die Fragebögen wurden unter anderem von den 150.000 Eltern ausgefüllt und diese konnten die Teilnahme ihrer Kinder auch gänzlich verweigern. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es beim Auftreten von Übergewicht einen sozialen Gradienten gibt: Ein niedriger Bildungsstand der Eltern begünstigt Übergewicht, hier kann der Unterschied bei bis zu 18 Prozentpunkten liegen.

Übergewicht und Adipositas im Kindesalter zählen europaweit zu den größten Gesundheitsproblemen. Sie sind Auslöser von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ II und Krebs. „Die Ergebnisse zeigen, dass immer noch ein Drittel der Kinder mit Übergewicht oder Adipositas leben. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, um diese Zahlen zu reduzieren“, erklärte Dr. Kremlin Wickramasinghe.[i]

Aus dem Bericht geht auch hervor, dass im versorgungssicheren Europa nur 43 Prozent der Kinder täglich Obst und nur 34 Prozent Gemüse essen.  Auch in Österreich sieht es nicht besser aus: 46 Prozent konsumieren täglich frisches Obst, nur magere 27 Prozent frisches Gemüse. Dafür trinken acht Prozent öfter als drei Mal pro Woche Soft Drinks.  Und nur 61 Prozent der Volksschulkinder frühstücken täglich. Diese Zahlen basieren wie bereits erwähnt auf Eigenangaben.

Bedeutungsvoll sind diese Ernährungsgewohnheiten vor allem, wenn man bedenkt, dass wir tatsächlich das sind, was wir essen. Sieht man von den (wenigen) Strukturen ab, die uns tatsächlich von Geburt bis zum Sterbebett begleiten, ist jede Zelle unseres Körpers, jedes Organ, jeder Knochen aus dem geschaffen, was wir zur Verfügung stellen. In der indischen Philosophie besteht das menschliche Wesen aus fünf Hüllen. Die äußerste Hülle ist Annamayakosha, die Hülle, die wörtlich übersetzt „aus Nahrung gemacht ist“. Auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Tierreich führen uns am Beispiel der Entwicklung von Bienen zu Arbeiterinnen oder der Königin drastisch vor Augen, was Ernährung bewirken kann: „Die Unterschiede liegen im (…) Epigenom, das bei Bienen durch die Ernährung, nämlich durch Gelee Royale so adjustiert wird, dass keine einfache Biene, sondern eine Königin heranwächst, wenn man ihr in Prägemomenten die königliche Nahrung anbietet.“[ii] Weitere Anhaltspunkte liefern aktuelle Erkenntnisse über das Mikrobiom und seine Bewohner: Die westliche Ernährung besteht zu 90 Prozent aus der Nahrung, die man isst und zu zehn Prozent zu dem, womit unsere Bakterien uns täglich füttern. Es ist nicht egal, was wir essen und auch nicht egal, welche Bakterien wir und damit sie wiederum uns füttern. Gemüseliebende Bakterien stellen beispielsweise eher Fettsäuren für die Versorgung von Darm und Leber her. Andere Bakterien produzieren Fettsäuren, die auch noch den Rest des Körpers (aka Bauch und Hüften) mitfüttern. Deswegen kann eine Banane auch weniger dick machen als ein Schokoriegel mit den gleichen Kalorien. Bei Übergewichtigen findet sich weniger Vielfalt in der Darmflora und Bakteriengruppen, die Kohlenhydrate verstoffwechseln überwiegen. Unsere Darmbewohner beeinflussen Esslust und Sättigung. Essen wir bakteriengerecht, nämlich Dinge, die im Dickdarm unverdaut ankommen, haben wir weniger mit Hungerattacken zu kämpfen.[iii]

Aus dem Bericht geht weiters hervor, dass in Österreich 43 Prozent der Volksschüler zu Fuß zur Schule gehen oder mit dem Rad fahren und 54 Prozent geben an, mindestens zwei Stunden pro Woche Sport zu machen. Dem gegenüber stehen 18 Prozent, die mehr als zwei Stunden täglich Fernsehen oder elektronische Medien nutzen. Die ÖGPH (Österreichische Gesellschaft für Public Health) empfiehlt für Volksschulkinder täglich mindestens eine Stunde Ausdauerbewegung und mindestens drei Mal pro Woche muskelkräftigende und knochenstärkende Aktivitäten. Das geht sich nicht oder nur teilweise aus. Und auch hier wieder: Die Zahlen sind tendenziell optimistisch, bedenkt man das Problem der sozialen Erwünschtheit beim Ausfüllen von Fragebögen.

Neben dem offensichtlichen Zusammenhang, nämlich dass Sport dabei hilft, Übergewicht zu vermeiden oder zu vermindern, gibt es einen weiteren, der die schulische Leistung betrifft. Diese ist nämlich generell bei übergewichtigen oder adipösen Kindern schlechter als bei normalgewichtigen. ABER! Wenn Kinder trotz ihres Übergewichts sportlich sind, kann das helfen, diesen Nachteil auszugleichen. Dieses Phänomen nennt sich das „Fat but Fit Paradoxon“. Das belegt unter anderem eine Studie mit 470 Siebenjährigen von 20 Schulen aus fünf europäischen Ländern, die fitten Kindern, unabhängig vom BMI bessere schulische Leistungen attestierte.[iv] Eine andere Studie, die über zwei Jahre 1802 Kinder begleitete, kam zu dem Resultat, dass fitte Kinder bessere schulische Leistungen als unfitte, ursprünglich Normalgewichtige und danach Übergewichtige bzw. Adipöse schlechtere Leistungen als Normalgewichtige zeigten.[v]  Eine weitere Studie mit 130 neunjährigen Schulkindern kam zu folgendem Schluss:  Je höher die motorischen Fähigkeiten und die physische Fitness, desto besser waren die schulischen Leistungen. Je höher der BMI, desto schlechter waren die schulischen Leistungen.[vi]

Also: Das richtige essen, genügend bewegen und schon klappt`s auch mit der Bildung! Gutes Gelingen fürs Sommersemester, vielleicht mit kleiner Unterstützung durch ein motion4kids Projekt…

 

Mag. Barbara Fisa, MPH, studierte erst Handelswissenschaften bevor sie ihre Leidenschaft für Sport, gesunde Ernährung und Entspannung zu Public Health brachte. Sie versteht sich als Vermittlerin von Wissenschaft, ist Beraterin, Keynote-Speakerin und Autorin („Raus aus der Pflegefalle“ gemeinsam mit Prof. Dr. Bachl und Dr. Biach im Springer Verlag; link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-63396-0). Sie arbeitet an Systemen zur Förderung eines gesunden Lebensstils für Menschen nach der Pensionierung, dem „Best Agers Bonus Pass“, und berät die Stiftung motion4Kids. Nähere Informationen unter thehealthychoice.at

 


[i] kommissarischer Leiter des Europäischen Büros der WHO für Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten

[ii] Prof. Dr. Johannes Huber, Wunderwerk Frau, 2022, Gräfe und Unzer Verlag

[iii] Enders, G. (2017). Darm mit Charme. Ullstein Buchverlage.

[iv] Valenzuela, P. L., Pinto‐Escalona, T., Lucia, A., & Martínez‐de‐Quel, Ó. (2022). Academic performance and psychosocial functioning in European schoolchildren: The role of cardiorespiratory fitness and weight status. Pediatric Obesity, 17(2), e12850.

[v] García‐Hermoso, A., Martinez‐Gomez, D., del Rosario Fernández‐Santos, J., Ortega, F. B., Castro‐Piñero, J., Hillman, C. H., ... & Esteban‐Cornejo, I. (2021). Longitudinal associations of physical fitness and body mass index with academic performance. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 31(1), 184-192.

[vi] Batez, M., Milošević, Ž., Mikulić, I., Sporiš, G., Mačak, D., & Trajković, N. (2021). Relationship between motor competence, physical fitness, and academic achievement in young school-aged children. BioMed Research International, 2021.

 

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